Geschichte
Anderten,
ein Dorf mit einem See,
in der Heide, am Wald, mit dem Lichtenmoor im Rücken
Karte vom 1672 (Amtshoyaschine Grenzbeschreibung)
2 Harburger Straße durch Rethem
4 Die Schipse führt im Winter und in regenreichen Tagen viel Wasser
5 Die Wölpe sammelt bei nassen Zeiten viel Wasser wie die Schipse
6 Der Haßberger Bruchweg
8 Der Hämelsee
14 In der Hämelheide belegene Brüche seien mit Buchen und Ellernholz bewachsen und gehören denen Hämelheidschen Dörfern
15 Das Reinsmoh
21 Das Dingelken ist ein Horst im Haßberger Bruch
Zwar hatten die Einwohner aus Gadesbünden, Heemsen und Rohrsen urkundlich seit dem 14. Jahrhundert, aber vielleicht bereits früher, ihre Wurzeln im Wölper Bereich und wurden nach dem Untergang dieser alten Grafschaft Calenberger Bürger. Bei Anderten und Haßbergen sah das anders aus, denn diese Wohnplätze gehörten zur Hoyaer Grafschaft, für uns also so etwas wie Feindesland.
Hier am Rande des Lichtenmoores trafen seit Jahrhunderten drei Landesherren mit vier Ämtern auf Anderten und meldeten Rechtsansprüche an. Vom Süden das Fürstentum Calenberg mit den Ämtern Wölpe und Neustadt, von Norden das Fürstentum Lüneburg mit dem Amt Ahlden, dem adeligen Gericht Wahlingen und der Stadt Rethem. Diese sicherte sich in verschiedenen Verträgen die Rechte an Holz, Torfstich, Bruchweide und Immenzäunen im Lichtenmoor. Und von Westen her dann die Grafschaft Hoya, die im Eystruper Bruch und der Hämelheide Rechte hatte.
Kurhannoversche Landesaufnahme
Die Grenzstreitigkeiten dienten in jener Zeit oftmals dazu, Meinungen und Vorstellungen – manchmal auch mit brachialer Gewalt – durchzusetzen. Das musste im Juli 1679 beispielsweise ein Vermesser erfahren, der für die Regierung tätig war und von Anderter Bauern bedrängt und angegriffen wurde.
Schreiben des Vermessers
Der Zusammenschluss der Kommunen unserer Samtgemeinde erfolgte erstmals im Jahre 1582 nach dem Tod des letzten Hoyaer Grafen, denn die Ehen der sieben letzten Brüder blieben kinderlos. Damit trafen sich unsere Mitgliedsgemeinden im Herrschaftsbereich der Welfen. Zwar blieben Anderten und Haßbergen auch weiterhin Teil der Grafschaft und des späteren Amtes Hoya und wurden erst im Jahre 1932 im Zuge einer Gebietsreform dem Kreis Nienburg zugeschlagen.
Spricht man von oder über Anderten, dann muss man diesen Ort immer als Einheit mit der alten Andertenburg, dem vormaligen Vorwerk bzw. dem heutigen Gut Hämelsee, dem Gewässer gleichen Namens, dem alten Areal Hämelheide und dem Lichtenmoor verstehen. Sie gehören wie Sechslinge zusammen.
Auch wenn die Aktenbestände in den Archiven bisher kaum gesichtet werden konnten, kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, dass der Ort Anderten vermutlich auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Dieses wird recht deutlich im Blick auf die alten Verkehrsstraßen, die im Raum Anderten einen Knoten- und Kreuzungspunkt bildeten. Gewässer und Straßen stellten bevorzugte Siedlungspunkte dar.
Diese alten Trassen hatten den gleichen Stellenwert wie heute, auch wenn die Bezeichnung „Straße“ besser durch den Begriff „breiter Gras- und Sandweg“ ersetzt werden sollte. In allen Fällen wurden sie als Wander-, Handels-, Wallfahrts- und Kriegsstraßen genutzt.
Bild: Breiter Wanderweg:
Denken wir an den Volcwech, den vielleicht bereits die Römer Varus und Germanicus als Heerstraße bis zur Weser nutzten und der während der Epoche Karls des Großen die Grenze zwischen den neuen Bistümern Bremen und Minden bildete. In alten Urkunden wird diese Trasse oftmals genannt. Das gilt besonders für den Bereich westlich der Weser.
Dagegen stößt man in unserem Bereich auf genaue Beschreibungen. Diesen historischen Straßenzug kann man als West-Ostverbindung von der Ems bis wenigstens zur Elbe nachvollziehen. Urkundlich wird die Verbindung erstmals im Jahre 1302 erwähnt - auch wenn es sich bei dieser Urkunde vermutlich um eine Fälschung handelt - und wie folgt beschrieben:
Der von der Sebbenhauser Furt nördlich von Haßbergen nach Anderten verlaufende Heerweg setzt den von der Hunte bis zur Weser führenden „Folcwech“ an dem östlichen Ufer der Weser fort, durchschneidet im Amt die „strata siue via Publica antiqua, que dirigitur de Nygenborg per villam Holtorpe usque Verdam“, also die alte Volksstraße, die von Nienburg über Holtorf nach Verden führt.
Im Jahre 1582 wird berichtet:
„Die Verdener haben einen Galgen in der Hemelheide, am heßwege in ungezweifelter Hoheit des Amts Hoya uffrichten und setzen lassen, derselbe ist aber alsbald von den Befehlichhabern zur Hoya widerumb nieder und in Stucke zuhauen worden.“ (HoyUB I 1647, Note 4)
Und im Jahre 1689 sagt ein Hinweis, dass in der Hämelheide eine Windmühle aus dem vorigen Jahrhundert existierte. (Hann. 74 Hoya VIII A III 2 b 1 Nr. 2).
Dieser alte Weg wurde von den Anderter Bürgern noch vor über 100 Jahren genutzt, um ihren Kirchspielort Eystrup zu erreichen. Hinweise in den Heemser Kirchenbüchern deuten daraufhin, dass dieser Weg im Winterhalbjahr katastrophal gewesen sein muss und die Mutterkirche kaum zu erreichen war.
Der zweite alte Straßenzug, der „Hessewech“, war die Süd-Nord-Verbindung, die auch zur Zeit der Völkerwanderungen von großer Bedeutung war. Dieser Weg hat vermutlich eine noch längere Geschichte, denn er wurde bereits in der Steinzeit als Handelsweg genutzt. Zahlreiche Bodenfunde im Zuge der Trasse, Hügelgräber und Reste von Radspuren liefern eindeutige Nachweise dafür.
Adamek-Zeichnung: Funde und Hügelgräber
Auch als Jacobs-Pilgerweg sollte er in die Geschichte eingehen, denn die Wallfahrer aus Nordeuropa nutzten diese Verbindung, um Santiago de Compostella zu erreichen. Auf dieser Strecke werden immer noch die Jacobsmuscheln gefunden.
Kartenausschnitt von 1742: Der Hessweg
Der historische Wander- und Handelsweg wird von einigen Fachleuten auch als „Bernsteinstraße“ bezeichnet, denn bereits die frühen Händler transportierten den „Ostseeedelstein“ auf dieser Trasse. Vermutlich bezieht sich der Beiname vielmehr auf die zahlreichen geborgenen Bernsteingeschmeide in unserem Bereich.
Im ausklingenden Mittelalter scheint sich eine Veränderung ergeben zu haben, denn die Verbindung von Minden nach Bremen zog sich dann wohl über Holtorf in Richtung Aller.
Urkundlich wird der Hessewech relativ spät genannt, denn Kaiser Karl IV. erlaubt im Jahre 1377dem Grafen Gerhard von Hoya die Einrichtung einer Zollstation auf der Straße in Gadesbünden mit der Berechtigung, von jedem Pferd, das Kaufmannsware trägt, Zoll zu erheben. (HoyUrkBuch VIII 174)
Diese Mautstelle kann wohl nur an der Grenze zwischen den Wohnplätzen Gadesbünden und Anderten gelegen haben, denn Gadesbünden gehörte in jener Zeit zum Territorium der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg und Anderten zur Grafschaft Hoya. Die Welfen hätten sicherlich keine fremde Zollstation in ihrem Herrschaftsbereich geduldet.
Für Anderten wird diese Stelle meines Erachtens etwas später interessant, denn König Wenzel erneuert das Privileg und gestattet den Hoyaer Grafen im Jahre 1382 die Verlegung des Zolls zur „Scotemburg“. (HoyUrkBuch I 256) Dieser Zoll wird dann nochmals im Jahre 1583 bestätigt (Hann. 74 Hoya I C Nr. 1) .
Prof. Dr. Hucker von der Universität Vechta ordnet die „Scotemburg“ der alten Anlage Stoltenburg zu, die auf einer Weserinsel bzw. auf einem Werder nordwestlich vor Drakenburg lag. Hier gab es allerdings keine Straße, höchstens konnte dort ein Schiffszoll erhoben werden, aber Schiffe oder Kähne waren in jenen Tagen rar. Und da ein Straßenzoll kaum gegen einen Fließwasserzoll austauschbar war, kann mit der Scotemburg eigentlich nur die alte Andertenburg gemeint sein.
Die Verschiebung von dem Straßenzug zwischen Gadesbünden und Anderten zur Andertenburg und damit zu einem Knotenpunkt mit vielen Verbindungen haben die Grafen von Hoya seinerzeit kaufmännisch als lukrativ empfunden. Leider ist das Wort „Scotem“ weder aus dem Lateinischen noch aus dem Niederdeutschen zu ermitteln bzw. zuzuordnen.
Als dritte alte Straße ist jene zu nennen, die ich bereits in der lateinischen Fassung erwähnte, und Minden mit Bremen verband und ebenfalls Anderten berührte. Noch im Mittelalter wurde auf dieser „Via regia“ Salz aus Lüneburg nach Mitteldeutschland transportiert. Man nannte sie deshalb auch „Salzstraße“.
Die alte Poststraße von Minden nach Bremen
Neben vielen kriegerischen Haufen nutzten diese Verbindung beispielsweise vor über 450 Jahren die schmalkaldischen Truppen, die von Rodewald nach Drakenburg zogen, um dort in den Dünenfeldern die kaiserlich-katholischen Truppen Kaiser Karls des V. zu schlagen. In den ersten Gefechten zwischen Karls Spähern und den vorrückenden Stoßtrupps gab es dabei in und vor Anderten bereits etliche Tote.
Karte „Schlacht vor Drakenburg“
Straßenverbindungen waren für die Bewohner der benachbarten Dörfer immer problematisch, denn raubende und mordende Kriegshaufen folgten diesen Verbindungen und hinterließen deutliche Spuren.
So schreibt der dänische Oberst Fuchs im Jahre 1625 an seinen König Frederik nach Kopenhagen:
"Schicke die nächsten Truppen nicht auf der Strecke von Rethem über Anderten, Gadesbünden usw. nach Nienburg, denn alle Dörfer liegen in Schutt und Asche und es sind keine Nahrungsmittel mehr zu beschaffen."
Skizze des Oberst Fuchs
In der frühen Zeit gingen Straßenbau und Reparaturen grundsätzlich zu Lasten der Einwohner, die mit Hand- und Spanndiensten in ihrem Bereich zur Arbeit verpflichtet waren. Erst um die letzte Jahrhundertwende übernahm der Staat diese Aufgaben und stellte Personal ein. Das waren die sogenannten "Schosseeschüffler".
Bereits sehr früh, vielleicht im 10. oder 11. Jahrhundert, erscheint urkundlich das Geschlecht derer von Hodenberg unter anderem als Eigentümer der gesamten Fläche Hämelheide. Ob dazu auch der Wohnplatz Anderten gehörte, ist nicht einwandfrei erkennbar, aber zu vermuten. Dann tauchen die späteren Grafen von Hoya in unserem Raum auf, die mit einem Batzen Geld aus dem Friesischen kamen und die bestehenden Machtverhältnisse radikal veränderten.
Neben anderen Adelsgeschlechtern verloren die Hodenbergs den größten Teil ihres Besitzes östlich und westlich der Weser. Dazu gehörte eben auch der Bereich der Hämelheide, der gegen ein Trinkgeld an die Hoyaer ging. Heute würde man das feindliche Übernahme nennen. Es ist anzunehmen, dass auch Anderten in jener Zeit an das Haus Hoya gelangte und dort bis zum Jahre 1582 verblieb.
In die frühe Zeit fällt sicherlich der Bau der Andertenburg, deren Gründung vielleicht der 2. altsächsischen Gründerzeit zugeordnet werden könnte. Unter der frühen Burganlage werden wir wohl eine Turmhügelburg verstehen können, jene primitive Behausung, die auf höherem Bodenniveau errichtet wurde und mit einem Palisadenzaun oder einer Hecke aus stacheligem Strauchwerk umgeben war. Also keine Burg nach unserem heutigen Verständnis.
Zeichnung Hügelburg
Urkundliche Unterlagen zur Andertenburg habe ich noch nicht gefunden, das gilt in ähnlicher Weise auch für den Abbruch bzw. die Aufgabe der Burganlage. Sicher scheint jedoch zu sein, dass der Platz zur Errichtung einer Burg an einem Straßenkreuz nahezu ideal war, denn die Einnahmen über die Zollstation konnten den Haushalt vorteilhaft bereichern. Dabei war ebenfalls wichtig, die Grafschaft an dem nordöstlichen Zipfel der Hoyaer Herrschaft besser überwachen zu können.
Ob es sich bei der Andertenburg um eine „vorgeschobene Wehrburg des alten Gaues“ handelte, wie sie einige Historiker sehen ist nicht zweifelsfrei nachvollziehbar. Hier wird man noch suchen müssen.
Als früheste Besitzer der Burg und des Gutes Andertenburg werden urkundlich die von Klencke aus Rethem erwähnt. Zum adeligen Gut Andertenburg gehörte früher das kleine Vorwerk Hämelsee.
Mit jenen von Klencke legten sich im Jahre 1573 die Anderter Bauern an, denn sie durften nach einem Rezess aus dem Jahre 1562 die Waldungen bei Anderten zur Viehmast und Holzung nutzen. Für den Bereich der „Burg“ sahen das die Adeligen ganz anders und es kam zu einem Prozess in Celle. Die Anderter Vorfahren waren also ganz schön mutig in jenen Tagen. Bei dem Verfahren spielte die folgende Handzeichnung eine Rolle, in der die strittigen Dinge verzeichnet sind.
Handzeichnung aus dem Jahre 1573
Auf dem Gelände der ehemaligen Burg befand sich noch vor Jahrzehnten ein kleines Gehölz und ein einfaches aber großes Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, das später nur noch als Wohnung des Forstaufsehers diente und in dem bis zur Aufhebung des Gerichts das Gerichtszimmer war.
Das ganze Flurstück heißt heute noch Andertenburg, aber der Name Burg hat sich besser eingeprägt, das stellt Gade in seiner Beschreibung der Grafschaften Hoya und Diepholz fest.
Fraglich ist jedoch, ob der Standort der alten Burg und die Lage des Flurstücks identisch sind. Luftbildaufnahmen zu verschiedenen Jahreszeiten könnten bei der genauen Standortbestimmung hilfreich sein.
Nun zum Gut Hämelsee, dass nach dem Untergang der Andertenburg dessen Platz mit allen Flächen, Rechten und der Landtagsfähigkeit übernahm.
Nach einigen urkundlichen Geschichtslücken erscheint nach den Klenckes der Generalmajor von Weyhe, der das Gut Hämelsee erwirbt. Dieser hatte laut herzoglicher Verschreibung von 1695 eine Anweisung auf einen Platz von 64 Morgen, der ihm aus der Hämelheide ausgewiesen werden sollte, allerdings haben die Ansprüche der Weide-Interessenten die Ausführung verzögert.
Doch Kurfürst Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg bestätigt die Anweisung über den Kauf des Lehngutes Andertenburg durch Christian Ludwig von Weyhe im Jahre 1700 (Celle Or. 13, Nr. 1638).
Im Vergleich mit den Weideinteressenten von 1703 wird die Sache dann geregelt. Von Weyhe hat das Land urbar gemacht und die Gerechtsame von Andertenburg auf Hämelsee übertragen lassen.
Von Weyhe vererbte das Gut später an die Söhne seiner Frau, die Gebrüder von dem Bussche. In einer Urkunde wird bestätigt, dass der adelige Hof Andertenburg 1790 im Besitz des Landdrosten von dem Bussche ist, zugehörig Vorwerk und Schäferei Hämelsee (Hann. 74 Hoya VIII B I a Nr. 7)
Später erscheinen die von Bussche-Münch und Bussche-Ippenburg. Im Jahre 1869 wurde das Wohnhaus für den Pächter massiv erbaut und trägt noch über der Tür das Wappen der von den Bussche-Münch. Heute befindet sich das Gut Hämelsee im Eigentum von Carsten Burk.
Zum Rittergut gehörte bis 1870 noch das Wohnhaus des Abbauers Klages, HausNr. 29, denn hier war das Gefängnis untergebracht. Hier sollen die Insassen in der Dunkelheit oftmals den Knast über den benachbarten Birnbaum verlassen haben, um dann am frühen Morgen in das Quartier zurückzukehren.
Auf dem Vorwerk und dem späteren Gut Hämelsee wurde über eine lange Zeit auch eine Schnapsbrennerei betrieben, die wohl im Quergebäude vor dem Haupthaus angesiedelt war. Das ist wohl kein Hinweis dafür, dass die Hämelseer und die Anderter den Schnaps für den Eigenbedarf produzierten, sondern das war wohl eine zusätzliche Einnahmequelle.
Das Gut erhielt einen besonderen Bekanntheitsgrad, denn hier verbrachte der spätere General von Scharnhorst einige Jahre (1759-1765) seiner Jugendzeit. Ein Denkmal und die vormalige Gerhard-Scharnhorst-Schule erinnern an diesen berühmten Mann.
In dem Zusammenhang ein Blick auf die Schule.
So berichtet der Eystruper Pastor, dass der Lehrer ein kleines Wohnhaus hatte, dass 1686 von der Gemeinde errichtet und instand gehalten wurde. In diesem Gebäude befand sich eine Stube, eine Kammer und ein Kuhstall. In dem Schulhaus war wohl auch der Schulraum angesiedelt. Ob es sich hierbei um die erste Schule in Anderten gehandelt hat, ist leider nicht überliefert.
Im Jahre 1880 ist der Lehrer Ludewig aus der alten Schule in eine neue eingezogen. Das Gebäude wurde später als Hirtenhaus genutzt und anschließend vom Anbauer Neddermeyer käuflich erworben.
Der Bau eines neuen Schulgebäudes musste wegen des Ersten Weltkrieges auf das Jahr 1928 verschoben werden. „Die neue Schule“, schrieb der Lehrer Brüggemann, „bildet einen Schmuckkasten für den ganzen Ort, sie wird oft und gern von Fremden betrachtet und mit Recht bewundert.“
Bis zu diesem Zeitpunkt war die Anderter Lehrerstelle immer mit den Küstergeschäften verbunden.
Nach der Neuordnung des Schulwesens wurde dieses Gebäude entwidmet und als Wohnhaus an die Familie Freytag verkauft.
Im Blick auf das adelige Gut Andertenburg bzw. das spätere Gut Hämelsee wird hier sehr früh Recht gesprochen. So üben die Gutsbesitzer die niedere und zivile Gerichtsbarkeit im Auftrage der Hoyaer Grafen bzw. der nachfolgenden Herrschaften aus. Im Jahre 1821 wird berichtet, dass die bis dahin bestehende bürgerliche Gerichtsbarkeit dem Amt Hoya unterstellt ist und 1846 mit diesem vereinigt und jenes Gericht in Anderten aufgehoben wird.
Bisher habe ich keine Quellen gefunden, die Hinweise auf ein Halsgericht geben, also die Möglichkeit zur Verhängung von Todesurteilen und den nachfolgenden Vollstreckungen. Dieses Recht hat sich Hoya sicherlich vorbehalten, denn dort stand ein Henker bereit, der im Nebenberuf Abdecker war.
Das galt auch für jene Zeitgenossen, die bei den Hexenverbrennungen gut mit Feuer umgehen konnten. Ob auch Anderter Einwohner den Feuertod erleiden mussten ist mir nicht bekannt.
Der Hämelsee wird erstmals urkundlich im Jahre 1345 als zum Schloss Hoya gehörend genannt (HoyUB I, V S. 4, Lin. 33 u. 37). Eine weitere Erwähnung bezieht sich auf das Jahr 1368, denn Hämelhausen und der Hämelsee befinden sich im Besitz der Grafen von Hoya (HoyUB I V S. 4 und Celle Or. 13, Nr. 438).
In der Bevölkerung meint man bei dem Wort Hämelsee dieses Gewässer, das zum Baden einlädt. Die Bezeichnungen Hämelsee, Hämelheide und Hämelhausen weisen eindeutig auf den Hammel, also auf die Weidemöglichkeit von Schafen hin, die hier auf den kargen Heideflächen ihr Auskommen hatten.
Da das kühle Nass für die Menschen in jenen Tagen nicht empfehlenswert war, sie konnten in der frühen Zeit selten schwimmen, bot sich der Hämelsee ideal zur Schafwäsche an. Dieser Arbeitseinsatz war allerdings kräftezehrend und viele Anderter Bürger waren sicherlich mit im Einsatz.
Schafwäsche im Hämelsee
Wegen der fehlenden Schafe sind diese alten Waschaktivitäten Vergangenheit. Ein Recht besteht allerdings noch, denn die Einwohner der vormals schafwaschberechtigten Ortschaften können den See kostenfrei zum eigenen Baden nutzen.
Im Blick auf die Höhenverhältnisse im Bereich des Hämelsees wird auch der Laie feststellen können, dass der See als Relikt der Eiszeiten früher eine größere Fläche umfasste. Nach dem Ende des letzten Krieges wurde dem Gewässer nach Vermessungen die Größe von rund 25 Morgen zugebilligt.
Vor über 50 Jahren waren auch die Rohrsener oft Badegäste im See und ich meine, dass der Hämelsee in dieser kurzen Zeitspanne erheblich geschrumpft ist. Grundwasserabsenkungen und Vertiefungen der Gräben scheinen sich bereits in kurzer Zeit ausgewirkt zu haben.
Neben dem See findet man die Gräben Wölpe, den Schipsgraben oder Schipse und die künstlich angelegte Schwarze Riede, die auch den Lichtenmoorgraben aufnimmt und zur Entwässerung des Lichtenmoores beiträgt. In Höhe der Bundesstraße 209 mündet die Schipse in die Wölpe und gibt das Wasser an die Aller ab.
Der See, die Wölpe mit den vielen anderen kleinen Gräben oder Rinnsalen deuten auf ein großes Feuchtgebiet in früher Zeit hin, das sich bis zur Krähe und in den Nienburger Randbereich hinzog. Enorme Wassermengen, die aus den Quellgebieten zeitweise auch Anderter Teilbereiche überfluteten, verleiteten diese dazu, die Wölpe mit einem Damm abzuschotten. Das ließen sich die Bachunterlieger, die Heemser und Gadesbündener, jedoch nicht gefallen und eine wüste Schlägerei war die Folge.
Ich hatte anfangs auf den Verdrängungsprozess durch die Grafen von Hoya hingewiesen, die in den Jahren 1310 bzw. 1313 die Hämelheide von den Brüdern von Hodenberg erwarben (HoyUB I 46 und 48).
Im Jahre 1508 wird die Hämelheide urkundlich als Fläche zwischen den Dörfern Hülsen, Hämelsee, Anderten, Haßbergen, Doenhausen, Hämelhausen, Hohenholz und Diensthop genannt. (HoyUB, 1217, Fußnote 1).
Auch das Stift Bassum hatte in der Hämelheide Grundbesitz, über den das Stift Wilhelm Rommel, einen Drakenburger Burgmann, als Vogt eingesetzt hatte. Das galt auch für Gadesbünden. Die Überlieferung trägt kein Datum, es muss sich aber um das Jahr 1575 handeln. (Hann 74 Hoya VI A 2 III a Nr. 1)
Nach einer Überlieferung aus dem Jahre 1583 gehören zum Kirchspiel Hämelheide die Gemeinden Alhusen, Dönhausen, Eystrup, Hämelhausen, Haßbergen, Hohenholz, Gandesbergen und Mahlen, dazu die Gemeinden Diensthoop, Dörverden und Mahlen. Danach erfolgt die Auflösung. Merkwürdigerweise wird in dieser Auflistung Anderten nicht erwähnt. Wahrscheinlich ist Anderten bei der Aufzählung dem Kirchspiel Eystrup zugerechnet worden, denn schließlich gehörte der Wohnplatz bereits seit 1279 zu dieser Parochie. (Celle 72 XXV Nr. 1g)
Im alten adeligen Gericht der von dem Bussche steht in Anderten eine recht kleine und aus Holz gebaute Kapelle, die im Jahre 1737 errichtet worden sein soll. Diese Kapelle wurde im Zeitraum von 1852-1854 neu gebaut und hatte einen Glockenstuhl, der im Jahre 1896 zur Restaurierung anstand, was Gade in seiner Beschreibung der Grafschaften Hoya und Diepholz feststellt.
Kapellenzeichnung von Küpke
Der Altar, der aus dem Jahre 1664 stammt, wurde in die neue Kapelle übernommen, doch 1886 durch einen im gotischen Stil gebauten Altar ersetzt. Im Blick auf den Begriff Kapellengemeinde aus dem Jahre 1279 ist wohl davon auszugehen, dass es bereits sehr früh, also in der katholischen Zeit, in Anderten eine Kapelle gab.
Karte aus dem Jahre 1302, in der Anderten eingetragen ist.
Sicher scheint in diesem Zusammenhang zu sein, dass das Kirchspiel Eystrup, und damit die Kapellengemeinde Anderten, zum Bistum Bremen ausgerichtet war. Im Jahre 1904 wurde die Kapellengemeinde Anderten dem Kirchspiel Heemsen angegliedert.
Anfängliche Probleme der Eystruper auf Verlust eigener Einkommen und der Heemser über zusätzlich anfallende Arbeiten, haben sich danach schnell eingependelt.
Auch zum Bestattungswesen wäre noch einiges zu sagen, denn vormals wurden die Anderter in Eystrup beigesetzt und dem Lehrer oblag die Aufgabe, „die Leiche aus dem Dorfe auszusingen.“ Später wurde in Anderten ein Friedhof angelegt, der von der Kapellengemeinde hervorragend betreut wird.
Einstimmung auf den Anderter Bereich
Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei Anderten um einen sehr alten Wohnplatz handelt. Er erscheint urkundlich im Jahre 1230 und danach nochmals 1279 (HoyUB I IV S. 2; WestfUB).
An der Spekulation zur frühen Namensfindung Anderen oder Anderten möchte ich mich nicht beteiligen, denn alle Hinweise sind mir zu vage. Möglicherweise wird in der Namensendung „en“ wohl das Wort Wald oder Ansiedlung enthalten sein.
Für die Statistiker noch einige Anmerkungen vorab:
1821 ist der Ort Teil der Grafschaft bzw. des Landkreises Hoya und selbständige Gemeinde und wird im Jahre 1932 im Zuge der Kreisreformen mit Haßbergen in den Landkreis Nienburg eingegliedert.
Bei der Kreis- und Gebietsreform des Jahres 1974 verlor Anderten die Selbständigkeit und ging als Ortsteil in der neuen Gemeinde Heemsen auf. Anzumerken ist noch, dass die Anderter sich gegen das Eingliederungsverfahren in Richtung Rethem gewehrt haben.
Ein Blick auf die Einwohnerzahlen und Feuerstellen:
1715 17 Feuerstellen
1749 16 Feuerstellen (Hann 74 Hoya I C Nr. 22)
1771 17 Feuerstellen (Kurhannoversche Landesaufnahme)
1821 27 Feuerstellen, 208 Einwohner
1858 43 Wohngebäude, 275 Einwohner, (einschl.
Andertenburg, Gut Hämelsee und Hof Kreyershorst
1885 45 Wohngebäude, 270 Einwohner
1905 52 Wohngebäude, 276 Einwohner
1939 265 Einwohner
1950 117 Haushaltungen, 467 Einwohner (davon 170
Heimatvertriebene
1961 67 Haushaltungen, 279 Einwohner
Verzeichnis der Höfe:
1696 8 Halbmeier, 1 Vollkötner, 8 Halbkötner, 1 Brinksitzer
(Hann. 74 Hoya I C Nr. 25)
1749 8 Halbmeier, 3 Vollkötner, 5 Halbkötner (Hann 74 Hoya I C
Nr. 22)
1790 18 Höfe
1819 7 Halbmeier, 10 Kötner (Hann 74 Hoya VIII B I a Nr. 7, 8)
Erstaunlich ist in jedem Fall, dass es in Anderten keine Vollmeier und anfangs nur einen Brinksitzer gab. Bei den Gemeinden um Anderten herum sieht der Zahlenspiegel der Wertigkeit der Hofstellen anders aus. Aber die Begründung dafür wird man sicherlich auch noch finden können.
Fläche des Wohnplatzes: 10,12 km2, davon 6,02 km2 landwirtschaftlich genutzt.
# Im Jahre 1279 schenkt Edelherr Bernhard von Lohe dem Kloster Walsrode 1 Hufe (rund 30 Morgen Land) zu seinem Seelenheil. (WestfUrkBuch)
An dieser Stelle empfehle ich einen Besuch des Klosters Walsrode, das ja vor unserer Haustür liegt.
# Heyneke von Klencke aus Rethem hat um 1370 als hoyasches Pfandgut das ganze Dorf Anderten inne (Celler Briefschaften).
# Bischof Ludolph von Minden, Edler v. Rostorf (1295-1304), Dompropst Volquin, Edler v.d. Berge (1292-1311) und das ganze Domkapitel von Minden schenken 1298 dem Kloster Marienrode Land mit Zehnten in Anderten, die Dietrich v. Anderten von ihnen zu Lehn getragen hat (Westf. Urkundenbuch).
# Schon 1291 hatte ein Ritter dieses Geschlechts 1 Hufe dem Kloster geschenkt (Westf. UrkBuch).
Und damit bin ich bei dem Geschlecht derer von Anderten angelangt. Wer gab also wem den Namen? Übernahmen jene von Anderten den Namen des Dorfes oder umgekehrt? War dieses Geschlecht wirklich hier ansässig, vielleicht auf der Andertenburg? Wenn ja, wanderten sie später nach Hannover aus und verliehen dem dortigen Anderten ihren Namen? Hier werden die Anderter sicherlich noch viel suchen müssen und hoffentlich fündig werden.
In den Hoyaer und Westfälischen Urkundenbüchern sind die nachstehenden Mitglieder derer von Anderten, die vielleicht hier residierten oder aus Anderten stammten, überliefert worden:
1. Woldets (um 1230 - HoyUB)
2. Diederik (1298 – Westf.UB)
3. Henrik Henriks (1349 – HoyUB)
4. Diderik, Ratsherr der Stadt Hannover (1456 – HoyUB)
5. Diedrich, Amtmann in Ehrenburg (1608 – HoyUB)
6. Dr. jur. Joachim, Vormund der Kinder des verstorbenen
Konrad v. Münchhausen (1608, HoyUB)
7. Diedrich (1621 – HoyUB)
Vor einiger Zeit fand ich in einem Verzeichnis eine handschriftliche Anmerkung, dass jene von Anderten ihren Namen vom Dorf Anderten bei Kirchrode entliehen hätten. Der Name „Gotha“ wurde dabei als Quelle genannt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Eintragung im Heemser Sterbebuch aus dem Jahre 1752/53:
„Als der Amtmann von Anderten zur Hemelsee, seiner verstorbenen Demoiselle Schwester in hiesiger Kirche beerdigen lassen, sind vom Selbigen dieser halben placidierter maßen entrichtet worden 4 Reichsthaler. Der Mann von Anderten scheint auch eine Verwendung im Konsistorium gehabt zu haben.“
Die Verstorbene ist nicht im Heemser Sterbebuch verzeichnet, man kann auf diesem Wege den Namen nicht ermitteln. Hier wäre eine Suche im Eystruper Kirchenbuch erforderlich. Ich vermute einmal, dass jener Amtmann von Anderten kein Angehöriger der Adelsfamilie war.
Der Wohnplatz Anderten war in der frühen Zeit wohl ein wichtiger Ort im Kreuzungsbereich alter Straßen mit all den Vor- und Nachteilen. Die Bürger waren einerseits nicht von Handel und Wandel ausgeschlossen, hatten andererseits ständig unter den kriegerischen Auseinandersetzungen zu leiden, denn die Kriegsleute und Landsknechte versorgten sich auf ihren Zügen vor Ort mit Proviant und gingen dabei nicht zimperlich mit den Einwohnern um.
Neben den erheblichen Lasten, die von dem Amt, dem Gut und der Kirche gefordert wurden, blieb für den Lebensunterhalt der Familie nur wenig übrig. Und wehe, wenn die Wetterverhältnisse ungünstig waren und nasse oder trockene Sommer, bitterkalte Winter durch das Land zogen, dann waren Hungersnöte tägliche Gäste in den Häusern. Und den frühen Chronisten kann Glauben geschenkt werden, dass im Mittelalter und sicherlich noch davor Menschen auf den Bauerhöfen verhungerten.
Wann tauchten hier die ersten Bewohner auf und wann erfolgte die erste Besiedlung Anderten? Die Historiker gehen heute davon aus, dass erst die früheste urkundliche Überlieferung als sogenanntes „Geburtsdatum“ einer Wohnsiedlung anzusetzen ist. Das würde bedeuten, die Jahreszahl 1230 stellt das Geburtsdatum dar und es stände im Jahre 2005 das 775jährige Ortsjubiläum im Kalender.
Das ist sicherlich ein wichtiger Termin, aber im Anderter Bereich wird doch viel früher etwas los gewesen sein. Man wird also auf Funde, wenn nicht hier vor Ort, dann wohl auf Nachbarbereiche zurückgreifen müssen.
Bei einem Blick in die Frühzeit der Bewohner unserer Gegend stoßen wir in einer Kalkmergelgrube in Lehringen bei Verden auf das Skelett eines Altelefanten, dieses Tier wurde vor rund 160.000 Jahren von Jägern in einen Tümpel getrieben und getötet. Und der Eibenspeer hat diese lange Zeit tatsächlich überstanden.
Die Eiszeiten kamen und gingen und mit ihnen wanderten die Menschen mit dem jagdbaren Wild von Süd nach Nord und umgekehrt. Und es sollten wiederum Jahrtausende vergehen, bis sich die Natur beruhigte und eine Art von Sesshaftigkeit einstellte.
Die Jäger- und Sammlergesellschaft war nicht mehr auf die großen Wanderungen angewiesen, sondern man errichtete primitive Windschutzvorrichtungen, Zelte und hüttenähnliche Anlagen, um sich vor den Unbilden der Natur zu schützen und diese gegebenenfalls zu verlassen und neue Reviere aufzusuchen. Bei der Suche nach dem jagdbaren Wild stellte man auch den Fischen nach und bereicherte den Speisezettel mit den verschiedenen Beeren und Pilzen.
Die Entwicklung blieb jedoch nicht stehen, auch wenn für Fortschritte wieder Tausende von Jahren ins Land gingen, man lernte von anderen Sippen und übernahm neue Gewohnheiten und Techniken. Und so verlor die Jäger- und Sammlertätigkeit nach und nach an Bedeutung. Man wurde sesshaft, baute die ersten Getreidearten an und konnte nach der Domestizierung von Wildtieren Zug um Zug die Viehhaltung als zusätzliches Standbein sichern.
Mit dem Blick auf die Landschaft zwischen Weser und Aller wird man wohl ein gemeinsames Urstromtal vermuten können, dass über eine lange Zeit unseren Bereich beeinflusste. Doch nach dem Abschmelzen der großen Eismassen und dem Ende der starken Regen- und Schneeperioden bot auch unsere Gegend bald eine Besiedlung auf der mit Flugsand bedeckten Niederterrasse an.
Hier konnte man hochwasserfreie Wohnplätze finden und die vielen Bäche und Gräben lieferten das wichtige Wasser für Mensch und Tier.
Nun hatte der karge Boden der Hämelheide nicht die Qualitäten wie in den Talauen der Flüsse mit den lehmigen und anlehmigen Böden, aber bei der geringen Zahl der ersten Siedler ließen sich diese Nachteile noch relativ gut ausgleichen. Hatte anfangs der Buchweizen seine Chance auf dem Heideboden, dann folgten später mit der Torf-, Bulten- und Heidedüngung und der Dreifelderwirtschaft auch weitere Getreidearten.
Das galt in ähnlicher Weise auch für die Viehhaltung und damit für den Start der Schafzucht – und hier wird man wohl an die Vorgänger der Heidschnucke zu denken haben.
Aber in Anderten und drum herum gab es auch Feuchtgebiete in der Nähe der Bäche, die sich mit einem völlig anderen Boden darstellten und dort auch eine andere Art von Landwirtschaft zuließen.
In der Frühzeit hatte sich nach den Rodungen und anderen Aktivitäten Eigentum gebildet, dass sich entweder im Besitz der Familie oder der Sippe befand. Man war frei auf freiem Boden. Dagegen verblieb das bis dahin „unverbrauchte“ Land, also Wald, verbuschte Bereiche, Heide- und andere Ödflächen im Besitz der Allgemeinheit.
Im Prinzip bestanden die letztgenannten Flächen als Gemeinheiten oder Allmende noch bis vor rund 150 Jahren und wurden erst im Zuge der Gemeinheitsteilung und der folgenden Verkoppelung aufgelöst.
War das Leben unserer Altvorderen in dieser Zeit noch einigermaßen ruhig, dann stellten sich mit der Völkerwanderung die ersten großen Probleme ein und lösten Verdrängungsprozesse aus. Um 500 wanderten die Sachsen in unseren Siedlungsraum ein und übernahmen eine Art Herrschaftsfunktion.
Mit Karl dem Großen und der Christianisierung des Sachsenlandes erlebten unsere Vorfahren eine völlig neue Lage. Die Franken setzten Gebietsverweser ein und das bis dahin funktionierende Besitz- und Eigentumsrecht wurde im eigentlichen Sinne abgeschafft. Den Edelleuten oder Grafen wurden Gebiete als Lehen zugeteilt, dazu gehörten in jener Zeit auch die dort lebenden Menschen.
Mit der Gründung von Kirchen und Klöstern wies man diesen die Zehnten zu. Das bedeutete, dass die Kirchengemeinde, wenn man sie so bezeichnen kann, das Stift oder das Kloster, Anspruch auf jede Zehnte Garbe Korn, jedes 10. Schaf usw. hatte. Neben dieser Abgabe hatten sie der Kirche einen oder mehrere Höfe zu übereignen und die entsprechende Anzahl der Knechte und Mägde zu stellen.
Im Blick auf die Heemser Kirchengemeinde konnte ich ermitteln, dass sie in Haßbergen einen Halbmeierhof besaß, dazu in Heemsen einen Meierhof und zwei Kötnerstellen. Von diesen Abhängigkeiten konnten sich die Stelleninhaber erst vor rund 150 Jahren freikaufen.
Karte aus dem Jahre 1838
Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Kirchenzehnte oftmals verliehen, verpfändet oder verkauft und geriet damit in das Eigentum von Adelsfamilien.
Bei den Zehntleistungen, in wessen Besitz sie auch immer waren, zeigte sich schon bald ein Nachteil, denn der Zehntinhaber verlangte oftmals trotz der Umstellung der Landwirtschaft mit der veränderten Fruchtfolge die Abgabe der vormals vereinbarten Produkte.
Dieses Feudalsystem machte unseren Altvorderen das Leben schwer. Wenn wir heute über Steuerlasten klagen, dann würden uns unsere Vorfahren im Blick auf ihre Leistungen und Abhängigkeiten, den Hand- und Spanndiensten wohl nur beneiden.
Man kann davon ausgehen – und für Rohrsen habe ich das einigermaßen sicher ermitteln können -, dass jede Hofstelle in Abhängigkeit stand. Von Eigentum war also keine Rede mehr.
Und für alle Aktivitäten waren Zahlungen zu entrichten. Als Beispiele stehen dafür Gerechtsame für Weide, Erdstich, Torf, Heidhau, Plaggenhieb, Schullenhieb (Grasbultenhieb), Holz, Buschhieb und vieles mehr.
Kreditaufnahmen bei der Errichtung von Häusern oder Stallungen mussten vom Gutsherrn genehmigt werden. Das galt in gleicher Weise auch für Eheschließungen der in Abhängigkeit stehenden Menschen. Für alle Dinge musste der Konsens eingeholt werden, und es war zu zahlen.
2 Zeichnungen aus den Jahren 1741 und 1756
Der Jahrhunderte lange Ärger der ländlichen Bevölkerung sollte mit den Ablösungsverfahren vor etwa 150 Jahren zu Ende gehen. Nun konnten die Hofstellen alle Lasten zum errechenbaren Wert des 25fachen Ertrages oder Dienstes ablösen.
Nur wer konnte diese enormen Finanzmittel aufbringen, wenn kaum Geld im Hause war? Für eine Vollmeierstelle ergab das leicht den Betrag von 500 bis 800 Goldtaler, für die Kötnerstelle entsprechend weniger. Die Obrigkeit hatte die Probleme erkannt und gründete die Landes-Kredit-Anstalt. Allerdings, und darauf sei an dieser Stelle hingewiesen, sprangen die Kirchengemeinden sehr oft als Geldgeber ein.
Da im Zuge der Gemeinheitsteilung und der folgenden Verkopplung die Flächen anwuchsen, verringerte sich Zug um Zug die Zahl der erforderlichen Arbeitskräfte. Wer in Anderten in der Landwirtschaft den Arbeitsplatz verlor, verdingte sich als Holzarbeiter im Eystruper Bruch, wanderte nach dem Aufwachsen der Industrie in die Städte ab oder fand bei der Eisenbahn ein Unterkommen. Dazu gehört auch die Hollandgängerei und die Auswanderung nach Übersee.
Hatten es die bäuerlichen Betriebe über Jahrhunderte ermöglicht, bei den relativ kleinen Acker- und Wiesenflächen mit den geringen Erträgen, den erheblichen Lasten, den Auswirkungen von Epidemien usw. ihre eigenen Familien und die Dorfbevölkerung versorgen zu können, trat vor einigen Jahrzehnten ein Wandel im ländlichen Raum ein, dessen Folgen kaum zu erahnen sind.
War noch vor etwa 150 Jahren beinahe jeder Einwohner in der oder für die Landwirtschaft tätig, setzte mit der zunehmenden Mechanisierung und dem Einsatz von Kunstdünger und Pflanzenschutzmitteln eine neue Phase ein.
Im Zuge der Globalisierung steht jetzt auch die Landwirtschaft vor großen Problemen. Hatte Anderten bereits vor Jahren den überwiegend bäuerlichen Status eingebüßt, so mussten nach und nach Hofstellen ihren Betrieb aufgeben.
Große Ackerflächen oder/und Massentierhaltung waren angesagt. Damit verändern unsere Dörfer Stück für Stück ihr altes Gesicht.
An dieser Stelle wäre noch ein Einschub unterzubringen:
Wie sah denn der Lebenszyklus der Anderter von dem Sesshaftwerden bis vor etwa 100 oder 150 Jahren aus?
Im Bezug auf die Wohnungssituation wird man anfangs die Erdhöhlen, Windschutzwände, Zelte aus Häuten und dann die ersten Katen finden. Am Ende des Mittelalters läutete dann im niederdeutschen Raum das sogenannte Zweiständerhaus eine neue Epoche ein. War es bis zu diesem Zeitpunkt in den winterlichen Wohnstätten noch bitterkalt und erfroren Menschen in ihren Hütten, „erfand“ man eine besondere Heizungsart.
Eine Anderter Idylle vor einigen Jahrzehnten in der relativ großen Gemarkung mit wenigen Einwohnern
Mensch und Tier bewohnten ein Fachwerkgebäude, und Stall- und Wohnbereich bildeten eine Einheit. Die Schweine hatten jedoch ihren Koben außerhalb des Hauses. Die uns heute bekannte Abtrennung zwischen der großen Diele und der Tenne mit dem Herdfeuer gab es nicht, denn die Menschen nutzten die Wärmeabgabe ihrer Tiere und das offene Feuer im Flett.
Man kann sich vorstellen, dass den Hausbewohnern bei der rauchenden Glut ständig die Augen tränten, denn der Rauch wanderte durch das Haus und zog durch die Ulenflucht nach draußen.
Mit der wirtschaftlichen Verbesserung der Bauernhöfe waren die Produkte nicht mehr unterzubringen, auch der Speicher war nicht weiter aufnahmefähig. Das war in etwa die Stunde des Vierständerhauses. Damit gewann man zusätzlichen Raum. Allerdings blieben die Tiere nach wie vor im Bauernhaus. Nach der Installierung von Öfen verschwand die offene Feuerstelle mit dem Grapen und eine Trennwand wurde zwischen den Behausungen der Menschen und Tiere gezogen.
Bauernhäuser mit der Innenaufteilung
Die Darstellung der Unterkünfte mag hier als Beispiel dienen. Zu beleuchten wäre unter anderem noch die Wohnqualität im Niedersachsenhaus mit den damals üblichen Beleuchtungsquellen, den Tagesabläufen über die Jahreszeiten, die Besitzübergaben und den vielen Nebensächlichkeiten, die das Leben unserer Vorfahren erschwerten oder erleichterten.
Tischmessblatt aus dem Jahre 1899
Im Jahre 1926 ging den Andertern nicht nur ein Licht auf, sondern durch den Anschluss an das Stromnetz konnten sie sich von ihren Talglichtern verabschieden und hatten endlich in der Dunkelheit Licht in ihren Häusern. Diese Aktion wurde mit einem Lichterfest bei der strahlenden Quelle einer 15-Watt-Birne im Gasthaus Klages eingeläutet. Wenn es mit dem elektrischen Strom auch nicht gleich klappen wollte, so war es doch der Start in eine neue Zeit.
Bei den Eheschließungen achtete man bei wenigen Ausreißern darauf, dass man in der eigenen Gesellschaftsschicht blieb. Das galt für die Meier und Kötner und andererseits für die Häuslinge, Knechte und Mägde. Man ging davon aus, dass sich die Liebe schon nach der Ehe einstellen werde. Viel wichtiger war die einzubringende Mitgift. Der Spruch „Nimm moal Lisette, de het en ganz Schapp vull“ ist sicherlich bekannt.
Als interessantes Beispiel möchte ich aus einer seitenlangen Ehestiftung, also aus einem Ehevertrag, berichten, der in Rohrsen vor über 150 Jahren geschlossen wurde. Ein Häusling heiratet die Tochter einer Vollmeierwitwe und neben vielen Einzelheiten wird die Mitgift der Braut haargenau wie folgt beschrieben:
An barem Gelde 50 Taler und nur in dieser Währung
und an Naturalien:
1 vollständiges Bette mit allen Zubehörungen,
1 gute Bettstelle,
1 eichener Koffer,
1 Anrichte,
1 Kleiderschrank,
1 großer kupferner Kessel,
1 messingenen Kessel
1 eiserner Topf
1 kupferner Teekessel
1 blechener Kaffeetopf
1 Kaffeebrenner, denken Sie dabei an die Zichorie
1 eiserne Bratpfanne
2 Spinnräder
1 Haspel
1 Garnwinde
1 Schlagbrake und 1 hölzerne Brake
6 Stühle
1 Tubben und 1 Wassereimer
1 kupferne Wasserkelle
1 Mistforke und 1 Heugabel
1 Grabspaten und 2 Kartoffelhacken
1 großen Klapptisch
1 Tragekorb und 1 Handkorb
30 Pfund reinen Flachs
11 Rollen Leinen in 30er, 36er und 26er Kamm á 36 Ellen
mithin überhaupt 352 Ellen Leinen
1 Kalb
2 Himten Weizen, 5 Himten Roggen
2 Himten Weißhafer, 1 Himten Gerste
und 1 Himten Buchweizen.
Bemerkenswert ist, dass Anderten über viele Jahre hinweg eine Einwohnerzahl zwischen 200 und 300 hat. Eine Ausnahme zeigt nur die Zeit nach dem den letzten Krieg mit der zeitweiligen Aufnahme von Evakuierten, Flüchtlingen und Vertriebenen. Damit verdoppelte sich kurzfristig die Einwohnerzahl.
Mag die Stagnation der Anzahl der Dorfbewohner scheinbar negativ klingen, so kann man als Ortsfremder doch feststellen, dass sich in Anderten ein „Wir-Gefühl“ erhalten hat.
Zu erwähnen ist zum Schluss noch das Ortswappen, dass wie folgt heraldisch beschrieben wird:
Unter silbernem Schildhaupt, darin nebeneinander drei rote Löwenköpfe, gespalten von Rot und Gold, vorne ein in halber Höhe und oben gezinnter silberner Wehrturm mit silbernem Fallgitter in der Toröffnung, hinten ein schwarzer Pflug.
Wappen von Anderten
Die drei Löwenköpfe sind dem Wappen der Adelsfamilie von Anderten entlehnt, der Wehrturm soll an die Andertenburg erinnern und der Pflug steht für den vormals landwirtschaftlich ausgerichteten Ort Anderten.